Meine Stimme für die Unerhörten
Mit klarer Haltung gegen Schweigen, Scham und Schuldgefühle.
„Wenn man tot ist, lieben einen die Menschen mehr.“
Diesen Satz schrieb die junge Sonja Gerstner, alias Pony, in ihr Tagebuch. Mit achtzehn Jahren nahm sie sich das Leben. Mit zwölf las ich das Buch „Flucht in die Wolken“, das ihre Mutter unter dem Pseudonym Sibylle Muthesius über Sonja geschrieben hatte. Ponys Satz ging mir nie mehr aus dem Kopf. Ich fühlte ihn in jeder Zelle.
Vier Jahre später flog ich fast durch die Deutschprüfung. Ich hatte ebendieses Buch zum Anlass genommen, die Zustände in den Psychiatrien der ehemaligen DDR genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Aufsatztitel lautete: „Vom Sinn meines Lebens“. Mich für Menschen einzusetzen, denen die Stimme genommen wurde, erschien mir schon damals sinnvoll. Es stieß nicht überall auf Gegenliebe.
Wenn man tot ist, lieben einen die Menschen mehr. Was macht es mit jemandem, für den dies vom Anfang seines Lebens an die Normalität darstellt? Wie beeinflusst es seine Träume, seine Entscheidungen? Wie liebt er, wie lebt er, wie geht er mit Krisen um? Wird er jemals seine Stimme erheben?
Ich schreibe über Traumata, die niemand sieht. Nicht, um in der Vergangenheit stecken zu bleiben. Sondern um meinen Teil für eine erfüllte Gegenwart und eine lebenswerte Zukunft beizutragen.
Geboren im Anschluss an zwei verstorbene Geschwister habe ich über Jahrzehnte erlebt, wie lautloser Schmerz in Familien nachhallt. Heute weiß ich: Heilung braucht drei Dinge: Haltung, Herz und Schnauze.
- Haltung, weil endlich jemand klar sagen muss: „Euer Leid ist real.“
- Herz, weil kalte Information ohne Mitgefühl nur Salz in die Wunden streut.
- Und Schnauze, weil wir Worte brauchen, die so deutlich sind, dass niemand mehr überhören kann, worum es geht.
Hattest du jemals den Gedanken, dich zwischen Liebe und Leben entscheiden zu müssen?
Auf diesen Seiten findest du Fakten und wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, die dich verstehen lassen. Ich teile persönliche Erfahrungen. So kannst du sehen, womit du in Resonanz gehst und Gefühle zulassen, die vielleicht lange nicht erlaubt waren. Ich rede direkt, in einer Sprache, die Kopf und Herz synchronisiert. Und ich möchte dir meine Stimme leihen, bis deine laut genug ist, um gehört zu werden.

Haltung, Herz und Schnauze. Und warum mir gerade das so wichtig ist
Haltung: Ersatzkinder haben keine Lobby.
Schon 1964 beschrieben Cain & Cain im Journal of the American Academy of Child Psychiatry die bedrückende Lebenssituation von Kindern, die ihre Existenz der Tatsache verdanken, dass zuvor ein Bruder oder eine Schwester verstorben ist. Angesichts der Tatsache, dass dieses Schicksal Millionen von Menschen weltweit betreffen dürfte, verwundert es, dass in der Folge kaum an diesem Thema weitergeforscht wurde. Erst in den letzten Jahren geriet es unter anderem durch die Arbeiten von Kristina E. Schellinski und Ard Nieuwenbroek erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. Und auch wenn diesmal die Resonanz deutlich stärker zu sein scheint: Das Replacement-Child-Syndrome oder Ersatzkindsyndrom taucht bis heute in keinem Diagnoseschlüssel auf. Psychologen, Psychiater, Therapeuten und Pädagogen zeigen sich erstaunt und dankbar für die Aufklärung: Denn Ersatzkinder sind in Theorie und Praxis bisher weitestgehend unsichtbar.
Strukturelle Unsichtbarkeit
Es ist eine Unsichtbarkeit, die Ersatzkindern von Geburt an vertraut ist. Die implizite Botschaft: „Du lebst für jemand anderen, doch sag es nicht laut“, (nach: Victor Hugo, Le Revenant), die das Leben von Ersatzkindern von Anfang an prägt, scheint sich hier auch zu zeigen: Ohne Diagnoseschlüssel keine Statistik, keine Finanzierung, keine Forschung. Keine professionelle Begleitung. Keine Validierung. Keine Stimme.
Das diffuse Gefühl vieler Ersatzkinder „zu existieren und doch nicht zu existieren“ (Zitat einer Betroffenen), oder sogar eigentlich gar nicht existieren zu dürfen, wie es mir selbst gegenüber einmal geäußert wurde, findet hier seine strukturelle Entsprechung. Studien zeigen, dass überlebende oder nachfolgende Geschwister kaum professionelle Begleitung erhalten. Ein Zufall?
Hilfsangebote richten sich fast ausschließlich an die trauernden Eltern. Das Leid über den Tod eines Kindes ist unerträglich, das steht außerhalb jeder Diskussion. Der Schmerz eines Kindes, das darin untergeht, ist in der Regel unerkannt.

Wer nicht gesehen wird, muss sich Gehör verschaffen
Dem möchte ich mit dieser Internetpräsenz etwas entgegensetzen: Es ist der Raum, in dem die Kinder zu Wort kommen. Für jene, die ohnehin oft in der Annahme aufwachsen, sie wären die zweite Wahl, ihr Leid sei unbedeutend. Für all jene, die sich aufmachen, aus dem loyalen Schweigen herauszutreten und die eigene Stimme zu entdecken. Allen Schuldgefühlen, aller Unsicherheit und auch gesellschaftlichem Unbehagen zum Trotz.
Denn ob bewusst religiös oder nur kulturell geprägt: Hier scheint das Gebot, die Eltern zu ehren, verletzt zu werden. Und ich bin sicher, vor allem die betroffenen Ersatzkinder werden die schlimmsten moralischen Skrupel empfinden. Sie haben ihre Eltern leidend erlebt, verletzlich. Sie haben alles gegeben für ein wenig Lebensfreude und Glück in den Augen ihrer Angehörigen. Sie haben sich weit über ihre Kraft hinaus verantwortlich gefühlt und tun es zumeist noch immer. Sich einen eigenen Raum zu nehmen, erscheint vielen Ersatzkindern wie ein Verrat. So empfinden sie es. Und oft genug spiegelt ihnen dies ihr Umfeld auch zurück.
Meine Arbeit hier ist daher klar parteiisch: Wo Ersatzkinder keine Stimme haben, da werde ich laut. So lange, bis sie ihre eigene gefunden haben. Das ist unerhört? Hoffentlich nicht mehr lange.
Herz: Heilung gelingt, wenn Denken und Fühlen dieselbe Geschichte erzählen

Das Leben eines Ersatzkindes ist geprägt von Widersprüchen.
- Die Eltern trauern um das verstorbene Kind, idealisieren es und projizieren gleichzeitig ihre unerfüllten Hoffnungen auf das Ersatzkind: „Sei du selbst. Aber erfülle Erwartungen, die niemand erfüllen kann.“
- Der tote Bruder oder die tote Schwester ist physisch abwesend, psychisch aber allgegenwärtig. Präsenz und Abwesenheit werden simultan erlebt. Der innere Widerspruch führt direkt in die kognitive Dissonanz.
- Das verstorbene Kind darf entweder gar nicht oder nur verklärt erwähnt werden, da sonst der Schmerz der Eltern unerträglich würde. Das muss gar nicht explizit ausgesprochen werden, denn Kinder reagieren mit sehr feinen Antennen auf die Emotionen der Erwachsenen. Das anwesende Kind will trösten, heilen, glücklich machen. Und versucht dafür einem Ideal gerecht zu werden, das vollkommen unrealistisch ist.
- Die Eltern schwanken zwischen Distanz und Überbehütung.
- Das Kind ist mal ersehnter Heilsbringer, mal Sündenbock, der nichts richtig machen kann.
- Im realen Leben oft aus Angst der Eltern vor einem weiteren Verlust in kindlicher Abhängigkeit gehalten, stemmt das Kind als parentifizierter Trostspender zeitgleich emotionale Aufgaben, die die Erwachsenen selbst nicht bewältigen.
Ich möchte noch einmal betonen: In der Regel passiert all das von Seiten der trauernden Eltern unbewusst und nicht aus gezielter Schädigungsabsicht heraus. Dennoch sind die Auswirkungen auf die kindliche Psyche schwerwiegend.
Hier geht es nicht um Schuld. Sehr wohl aber um Verantwortung. Die einzigen, die dieser Dynamik entgegenwirken können, sind Erwachsene: die Eltern eventuell, wenn sie in ihrem Schmerz dazu noch in der Lage sind. Immer aber jene, die die Situation von außen beobachten: Lehrerinnen, Ärzte, Pastoren, Nachbarn, die Eltern der Freunde des Kindes. Hier gibt es keine Neutralität! Bewusstes Wegsehen ist bewusster Verrat am Kind.
Die Falle im Kopf
Leon Festiger beschrieb 1957 den psychischen Stress, den kognitive Dissonanz – also das Für-wahr-Halten-Müssen von zwei sich gegenseitig widersprechenden Aussagen – mit sich bringt.
Werden Tod, Trauer und Verlust von den Eltern tabuisiert, spürt das Ersatzkind diese zwar, kann sie aber gedanklich nicht einordnen. Die gefühlte Atmosphäre passt nicht zum Narrativ. Verwirrung, Selbstbeschuldigung und permanente kognitive Spaltung sind die Folge.
Gesunde Grenzen, klare Vorstellungen über Identität und Selbstwert, ein Bewusstsein der eigenen Stärken, Schwächen, Ziele und Wünsche: Was für Menschen, die in einem genügend gesunden Umfeld aufwuchsen (und dazu gehören auch Kinder, deren Eltern den Verlust ausreichend betrauert haben) selbstverständlich scheint, kennen Ersatzkinder oft nur vom Hörensagen. Stattdessen verlieren sie sich in einem „Leben für Zwei“. In einer unlösbaren Aufgabe.
Der Versuch, sich Außenstehenden gegenüber begreiflich zu machen, ist oft genug zum Scheitern verurteilt: Zu unglaublich erscheint dies, zu irre. Und genau so sind dann leider oft genug auch deren Reaktionen: „Das kann ich mir nicht vorstellen. Das bildest du dir doch bestimmt ein.“ Und da vieles tatsächlich unbewusst im Wechselspiel zwischen dem Ersatzkind und den trauernden Angehörigen stattfindet, glaubt das Kind am Ende wirklich, verrückt zu sein.
Du warst nie verrückt
Ich möchte auf dieser Webseite ein wenig dazu beitragen, Klarheit zu schaffen. Und zwar nicht nur durch eine kühle, theoretische Wissensvermittlung. Sondern durch Einblicke in mein eigenes Leben, die beweisen: All das hier ist Realität. Es ist wahr, es ist echt. Das, was die Kinder erleben, ist valide. Es kann durch die Wissenschaft bestätigt und von mir bezeugt werden.
Ja, es ist eine unbequeme Wahrheit. Dass sie nicht jedem gefällt, kann ich verstehen. Ich kann sie nicht ändern. Und schönreden werde ich sie nicht. Damit komme ich zu dem dritten Punkt, der mir wichtig ist:

Schnauze: Tabus lassen sich nicht mit Samthandschuhen sprengen.
Einer Dozentin von mir wurde einmal vorgeworfen, zu hart in ihrer Ausdrucksweise zu sein. Ja, zu vulgär.
Doch wenn wir davon reden, authentisch zu werden, Fühlen und Denken in Einklang zu bringen, dann müssen wir auch so reden dürfen, wie wir es spüren.
Hand aufs Herz: Wie formuliert man, was es heißt, zu erkennen, dass man zwanzig, dreißig, vierzig, fünfzig, vielleicht sogar sechzig Jahre an sich selbst vorbeigelebt hat? Dass man sich verbogen, seine Wünsche verraten und seine Träume zu leben versäumt hat? Dass man von den Menschen, die man ohne jeden Rückhalt liebte, bewusst oder unbewusst, nur in seiner Funktion gesehen wurde? Wenn man begreift, dass der eigene Platz im Herzen der Eltern von Anfang an besetzt war. Und dass keine Anstrengung der Welt daran jemals hätte etwas ändern können? Dass sie von vorneherein zum Scheitern verurteilt war?
Nein, das ist nicht nur traurig oder bedauerlich. Das ist richtig abgrundtiefer Scheißdreck. Mega Bullshit. Low—Key-Dumpster Fire. Cringe Trash. Abgefuckter Müll.
Derbe Ausdrucksweise als Ventil? Warum nicht, solange niemand dadurch verletzt wird.
Denn auch hier sollten Denken und Fühlen nicht mehr auseinanderklaffen. Schöngeredet, abgewiegelt, unter den Teppich gekehrt und anderer Menschen Gefühle mit Euphemismen geschützt haben wir lange genug.
Hier kommt Schmerz zu Wort, der nicht nach Rosen duftet. Er will gehört, gesehen, gespürt und anerkannt werden. Dann kann er sich verwandeln.
Tatsächlich ist es auch wissenschaftlich erwiesen, dass derbe Schimpfwörter akute Belastungen tatsächlich abpuffern und die Schmerztoleranz erhöhen können. Was hat meine Dozentin also regelmäßig auf diese Vorwürfe geantwortet? „Ich mache das bewusst. Es ist therapeutisch.“

Was möchte ich bewirken?
Ersatzkinder leben zwischen zwei widersprüchlichen Wirklichkeiten: Sie sollen sie selbst und zugleich jemand anderes sein. Familienschweigen und idealisierte Erinnerungen verstärken diesen Widerspruch, so dass die kognitive Dissonanz chronisch wird. Der innere Kompass geht verloren. So in der Ursprungsfamilie vorbereitet, sind Ersatzkinder ein gefundenes Fressen für Menschen, die sie im weiteren Leben emotional oder geistlich missbrauchen. Ich weiß, wovon ich rede.
Eine Kombination aus validierendem, das heißt die eigene Wahrnehmung bestätigendem Wissen aus glaubwürdigen Quellen, empathischem Zulassen verdrängter Gefühle und klarer Kommunikation kann den Dauerkonflikt auflösen und den inneren Kompass wieder ausrichten. Die Anspannung geht zurück, tiefe Emotionen, Liebe, Freude und Nähe, Frieden und Gelassenheit werden möglich. Vielleicht zum ersten Mal.
Ich habe einen Traum
Ich möchte aufklären, Räume für Austausch und Heilung öffnen, Mut machen, Hoffnung spenden.
Und darüber hinaus meinen Teil dazu beitragen, dass in der Gesellschaft, bei Therapeutinnen, Pädagoginnen, Eltern, Betroffenen und Nicht-Betroffenen ein Bewusstsein dafür entsteht, wie es Kindern ergeht, die in unverarbeitete Trauer hineingeboren werden.
Kein Kind, kein Mensch soll jemals wieder auf den Gedanken kommen, er müsste erst sterben, um geliebt zu werden. Und falls doch, dann soll er Hilfe erhalten. Schnell, direkt und ohne Umschweife.
Verstehen. Fühlen. Werden. Aus Liebe zum Leben.
