Selbstverständlichkeiten, dachte ich. Denn ich lebe ja mein Leben schon seit etlichen Jahrzehnten. Und doch war da so vieles anders, als ich es bei anderen Menschen beobachtete. Ihr Leben erschien mir müheloser, ihre Schritte sicherer. Ihr Lachen freier. Ich nahm es als gegeben hin. Das ist es, was ich heute als so verrückt empfinde. Obwohl es so folgerichtig ist: Ich spürte den fremden Rucksack auf meinen Schultern schon lange nicht mehr. Das Laufen wie auf Eierschalen, das vorauseilende Erspüren, was mein Gegenüber von mir erwartete – es war meine Normalität. Die irrwitzige Aufgabe, eine andere zu sein, als die, die ich bin, habe ich fünf Jahrzehnte lang noch nicht einmal gewagt, zu hinterfragen. Im Außen waren meine Auftraggeber schon lange nicht mehr am Leben. Doch in meinem Inneren existierten sie weiter. Als innere Kritiker, die mich antrieben: So haben wir uns DICH nicht vorgestellt. Sei anders, sei besser – und wag es doch nicht. Sie waren ein Teil von mir. Sind es vielleicht noch immer.
Ihre Verbote an mich wurden zu meinen eigenen
Ich gehorchte. Und wagte so vieles noch nicht einmal zu denken.
Wie ich glaubte, sein zu müssen.
Das, was für andere Menschen ganz selbstverständlich ist, wurde für mich immer und immer wieder zum Sündenfall: Leichtigkeit. Widerspruch. Wut. – Wie konnte ich nur? Viel zu mächtig waren da die Gedanken in mir: „Du solltest dich was schämen, so glücklich zu sein!“
Erst mit über fünfzig Jahren begriff ich: Die Erlaubnis, ich selbst zu sein, wird mir niemals jemand geben. Und: Ich kann das selbst. Ich darf das. – Nicht allen wird es gefallen. Muss es auch nicht. Um es mit den Worten meines ehemaligen Heilpraktikers zu sagen: „Manche finden es Scheiße, andere finden es toll.“ Das Ding ist: Man muss das erst mal denken können.
Falls dir das bekannt vorkommt, du damit auch Schwierigkeiten hast:
Vielleicht kann ich dir ja – übergangsweise – die Erlaubnis dazu geben? Oder es fällt dir ein anderer Mensch ein, dem du vertraust?
Und das erobere ich mir jetzt zurück: Wer bin ich? Was trägt mich? Raus aus den Projektionen, rein in die Identität. Manchmal schaue ich staunend zurück und reibe mir die Augen. Was habe ich da eigentlich mit mir machen lassen?!
So ist das, wenn man aufwacht. Doch hier ein Gedanke, der trösten kann: Alles was wir getan haben, hatte einen guten Grund. Immer. Auch wenn das Ergebnis hin und wieder echt daneben war. Und so schafft Hintergrundwissen Verständnis für uns selbst.
Manchmal hilft es, wenn wir uns an anderen orientieren können. Manches muss man selbst erleben.
Hier teile ich meine Gedanken. Erkenntnisse von Fachleuten. Erlebnisse, über die ich staunen kann. Kleine Schritte und große Wunder. In manchem werdet ihr euch wiedererkennen. Und doch ist es mein Weg. Ihr werdet euren eigenen finden.
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